Leseprobe aus
Geoffrey Beattie, Corner Boys.
Klett-Cotta, Stuttgart 2000
"Aufgewacht bin ich dann von der Hupe. Dieser schrille,
aufdringliche Ton mit der Pause dazwischen – na ja, Pause kann man dazu
auch wieder nich sagen. Da war anscheinend einer ganz schön ungeduldig.
Ich hab auf den Wecker gekuckt. Kurz nach elf. Meine Mutter lag noch
im Bett.
'Da hat wohl einer 'n Taxi bestellt', rief sie von nebenan.
'Na, hoffentlich kriegen die bald mal ihren faulen Hintern aus den Federn.'
Ich linste durch die Netzgardinen am Schlafzimmerfenster
nach unten und sah Hammerhead, der aus der Beifahrertür eines knallroten
Corolla hing und zu meinem Fenster hochschaute. Ich zog ich die Vorhänge
zur Seite und klopfte an die Scheibe. Er winkte rauf. So 'n aufgeregtes
Winken war das. Seine Nase war immer noch sichtlich geschwollen.
'Wir haben 'ne Karre', sagte er. 'Na los, mach hin.' Das
heißt, gesagt hat er's nich, er hat bloß so übertrieben
den Mund auf- und zugemacht, damit ich's ihm von den Lippen ablese.
Entweder er wollte nich, daß es die Nachbarn hören, oder
er hat gedacht, unsre Wände sind dicker als sie aussehn, und darum
lohnt sich's gar nich erst zu schreien, weil ich ihn eh nich hören
kann. Lautlos sprechen war eh so 'ne Spezialität von ihm. Schon
in der Grundschule. Wenn der Direktor vorbeikam, hat er immer 'Wichser'
gemacht, aber damals hat er dazu auch noch die Hand bewegt. Ich konnte
'Karre' und 'mach hin' erkennen. Oder vielleicht hieß es auch
'Mach hinne'. Wahrscheinlich eher das. Wahrscheinlich sagte er 'Mach
hinne, du Arsch.' Ich wußte jedenfalls, was gemeint war. Das Winken
sagte alles, mehr mußte ich gar nich wissen. Das, und das nagelneue
Auto bei uns der in Straße. Das Auto, das nich seins war. Da war
'ne Spritztour angesagt, und ich mußte mitmachen, egal, ob's mir
paßte oder nich.
Ich sprang ausm Bett und zog mich an. Zum Waschen war
keine Zeit. Meine Mutter hatte mich an die Scheibe klopfen hören
und kam in ihrem neuen Bademantel zu mir ins Zimmer.
'Was habt ihr denn vor, Jungs?' fragte sie.
Sie ahnte schon, daß wir was vorhatten. Das hab
ich daran gesehn, daß sie in ihrem neuen Bademantel war. Sie hatte
offenbar beschlossen, mit mir zusammen runterzugehn und rauszukriegen,
was los war.
Der Bademantel war 'n Weihnachtsgeschenk von Ernie, sie
hatte ihn aber bisher noch nie angehabt. Seit zehn Monaten hing er an
'nem Nagel an ihrer Schlafzimmertür. Ich hatte schon gedacht, sie
will ihn sich bis nächste Weihnachten aufheben und Heiligabend
anziehn, als ob er neu is, falls sie nix geschenkt kriegen sollte, jedenfalls
nix, was genauso schön is. Sie hat immer Hausmantel dazu gesagt.
'Schickes Auto haste da, Thomas', sagte sie zu Hammerhead.
'Und Sie haben 'n schicken Bademantel an, Mrs Roberts',
erwiderte Hammerhead, der die Gabe hatte, in solchen Momenten immer
ganz gekonnt das Thema zu wechseln.
'Ich mein, den Wagen hab ich ja noch nie gesehn', sagte
meine Mutter.
'Es gehört meinem Onkel, Mrs Roberts', erklärte
Hammerhead. 'Der ist grade aus England rübergekommen, macht 'n
paar Tage Urlaub bei uns; ich kann den Wagen ruhig mal nehmen, hat er
gesagt, wo ich doch jetzt den Führerschein hab, soll ich ruhig
mal 'ne kleine Spritztour machen, runter nach Bangor.'
Meine Mutter trat raus auf die Straße und wickelte
sich fester in ihren Hausmantel ein.
'Wie sieht denn das aus, ich hier im Nachtgewand mitten
auf der Straße', sagte sie, obwohl sie manchmal am Wochenende
den ganzen Tag im Hausmantel rumlief, allerdings in dem alten, nich
in dem neuen, wenn sie die Nase voll hatte von dem Trubel bei uns in
der Straße. Sie sah sich das Auto genau an, von innen und außen,
wie jemand, der die Absicht hat, sich so 'n Fahrzeug zu kaufen. Und
'ne gründliche Inspektion macht, wie beim TÜV. Es war nich
zu übersehn, daß sie was suchte, zum Beispiel irgendwelche
losen Kabel, als Beweis dafür, daß das Auto kurzgeschlossen
worden war, aber Fehlanzeige – sie konnte nix finden. Dann ging sie
wieder ins Haus, blieb unten im Flur stehn und beobachtete uns. Ich
konnt ihr gar nich in die Augen kucken.
Ihr war 'n winziges Detail entgangen, eins, das mir sofort
auffiel.
'Dein Onkel ist nich zufällig katholisch?' fragte
ich durch's Autofenster.
'Was?'
'Ob dein Onkel katholisch ist, Hammerhead?'
'Was is 'n das für 'ne blöde Frage?' erwiderte
er verblüfft.
'Och, ich frag ja bloß mal.'
'In meiner Familie gibt's keine Katholen', sagte Hammerhead,
'das weißte doch. Wir haben keine Katholen der Familie. Willste
dich mit mir anlegen, oder was? Nu mach hinne, steig ein.'
'Moment mal', sagte ich, 'ich will bloß schnell
was nachkucken.'
'Ich faß es ja nich, was du da eben gesagt hast',
meinte Hammerhead, der offensichtlich noch am Grübeln war wegen
meiner Frage von eben. 'Scheiße ey, ich spinne. Du kennst doch
meine Eltern schon dein ganzes Leben lang. Du weißt doch, daß
bei uns kein Fenierblut mit zwischen is. Wir sind 'ne reine Loyalistenfamilie,
aber astrein.'
'Weiß ich doch', sagte ich, 'darum hab ich mich
ja auch so gewundert.'
'Und über was?' wollte Hammerhead wissen.
'Ach, is nich weiter wichtig', sagte ich.
'Sagst du's mir trotzdem?' fragte Hammerhead und gab sich
Mühe, 'ne bittende Miene zu machen.
Meine Mutter wurde allmählich auf unseren Wortwechsel
aufmerksam. Ich mußte leiser reden.
'Ich hab mich gewundert, wieso dein Onkel 'n Christophorus
im Auto hängen hat.'
Und da hat Hammerhead ihn dann auch bemerkt. Irgendwie
mußte er bis jetzt dran vorbeigekuckt haben, ohne das Teil wahrzunehmen.
Es war 'ne bildschöne Elfenbeinschnitzerei – am Rückspiegel,
da, wo sonst immer 'n Duftbäumchen hängt, baumelte der Schutzheilige
aller Reisenden. Bloß 'n paar Zentimeter groß, aber mir
war er sofort aufgefallen. Warum, weiß ich selber nich, ich hab
halt hingekuckt. Vielleicht wollt ich ja auch bloß wissen, was
für 'n Duftbaum in dem Auto drin war, weil's so stark nach Latschenkiefer
gerochen hat und kein bißchen nach Hammerhead oder sonst irgendwem
aus seiner astreinen Familie.
Aber Hammerhead war auch nich auf den Kopf gefallen. Er
überlegte einen Moment, nich lang, aber immerhin. Er brauchte etwas
Zeit, wenn auch nich viel. Wenn's drauf ankam, konnte Hammerhead nämlich
'n richtiger kleiner Schlaumatz sein.
'Ach das', hat er gemeint, 'das ist meinem Onkel sein
Talisman.'
Und ich: 'Tatsache?'
'Na ja, nich direkt 'n Talisman. Der ist doch Vertreter,
mein Onkel, und da hat er viel mit Katholiken zu tun drüben auf
der Insel, und darum hat der diesen kleinen Talisman im Auto, da will
er sie mit verwirren, auf die falsche Fährte bringen, sag ich mal.
Weil, wenn die wüßten, wer sein Neffe ist, dann würden
sie ihm ja vielleicht gar nix mehr abkaufen.'"
Geoffrey Beattie
© 2000 Klett-Cotta
Geoffrey Beattie wurde in Belfast geboren
und lebt und lehrt heute als Professor für Psychologie an der Universität
von Manchester. Er schreibt neben seinen wissenschaftlichen Werken auch
Gedichte. Sein erster Roman heißt auf deutsch ebenso wie auf englisch:
Corner Boys, Klett-Cotta, Stuttgart 2000; ISBN 3608934642; 29,80
DM