Leseprobe aus
Robert McLiam Wilson, Eureka
Street, Belfast.
Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1997
"Die Poetry Street strahlte. Die alte Frau von gegenüber
lächelte mir zu, und ihr asiatischer Nachbar winkte liebenswürdig
in meine Richtung. Mein Kater verkroch sich unter dem nächstbesten
Auto. Er hatte einfach keine Umgangsformen. (Chuckie mit seiner Leidenschaft
für fiskalisch-statistische Erhebungen hatte, bevor er nach Amerika
gegangen war, ausgerechnet, daß mich mein Kater, falls er die
normale durchschnittliche Lebenserwartung erreichte, bis zu seinem Tod
über achttausend Pfund an Futter, Tierarztrechnungen und bescheidenen
Katzenleckerbissen alle vierzehn Tage kosten würde. Chuckie hatte
gemeint, mein Kater sei eine unvertretbare Investruine, und mir geraten,
ich sollte einen Ziegelstein nehmen und ihm damit den Schädel einschlagen.
Die Versuchung war da.) Ein paar Schritte weiter sahen der Kater und
ich auf unserer Straßenseite eine attraktive junge Frau, die direkt
auf uns zukam. Diesmal guckte der Kater sie herausfordernd an, und ich
verkroch mich unter einem Auto.
Ja, es war schon nich mehr schön. Ich ging auf die Dreißig,
und ich hatte keine Freundin. Sogar Chuckie hatte was Festes zum Kuscheln,
aber bei mir schien irgendwie alles vorbei zu sein. Da half es auch
nix, daß Sommer war und ich mich alle hundertfünfzig Meter
verliebte. Und es half nix, daß ich mir sagte, mit so einem wie
mir würde ich auch nich ausgehen wollen.
Ich ließ meinen Kater, wo er war (schließlich gab es immer
eine vage Hoffnung, daß er nich wieder nach Hause fand), und machte,
daß ich heimkam. Ich warf mich in meine Rostlaube und ratterte
rüber in die Eureka Street. Zusammen mit Caroline lud ich das Sofa
ein, solange Peggy noch oben war – und sich in einen Spitzenteddy zu
zwängen versuchte. Ich sagte Caroline, daß ich später
oder morgen oder irgendwann noch einmal vorbeischauen würde, und
fuhr los.
Nachdem ich so die eine Prüfung hinter mich gebracht hatte, lenkte
ich meine Gedanken auf die andere, die mir bevorstand. Was heute mit
Ronnie Clay passiert war, das war bloß die reale Version dessen,
was Aoirghe mir im übertragenen Sinne antat, seit ich sie kennengelernt
hatte. So wie sie hatte mir noch keine in die Klöten gekniffen.
Auf dem Weg zu ihr mußte ich zweimal an Straßensperren anhalten.
Der eine Soldat schickte sich an, das Sofa aufzuschlitzen, das hinten
aus dem Wagen ragte. Er meinte, es sei ein gutes Versteck für Plastiksprengstoff.
Seine Kollegen überzeugten ihn, es nich zu tun. Sie machten ihn
darauf aufmerksam, wie absurd die Vorstellung von einer Sofabombe war,
und außerdem solle er sich doch bloß mal ansehen, was ich
für ein Weichei sei Ich konnte unbeschädigt weiterfahren.
Just in dem Moment, als ich vor Aoirghes Haus hielt, vernahm ich aus
dem Radio, daß schon wieder zwei Soldaten erschossen worden waren.
Schlechtes Timing. Wenn es gegangen wäre, hätte ich das Sofa
allein getragen. Aber es ging nich. Ich klingelte.
Sie öffnete die Tür und funkelte mich mit gewohnter Unfreundlichkeit
an.
‚Hallo‘, sagte sie ohne Begeisterung.
Ich lächete. ‚Da muß aber einer mit anfassen, sonst krieg
ich das Trumm hier nich reingetragen‘, räsonierte ich.
Auf ihrem Gesicht lag ein ganz neuer Zug von Widerwillen. ‚Ich hab grad
Besuch, der kann dir helfen.‘"
Robert McLiam Wilson, geb. 1964
© 1997 S. Fischer
Robert McLiam Wilson lebt in Belfast. Eureka
Street, Belfast, der im Original einfach nur Eureka Street
heißt, ist 1997 in meiner Übersetzung im S. Fischer Verlag,
Frankfurt/Main, als Hardcover erschienen und liegt dort inzwischen auch
als Taschenbuch vor; ISBN 3100492102 (Hardcover, 44 DM) bzw. 3596144167
(Taschenbuch; 19,90 DM)