Leseprobe aus
Christopher Nolan; Fünf Felder Grün,
Pforte Verlag, Dornach 2006
13. Kapitel
Siegreich, mit einer großen Apfelsine im dämmergrauen
Maul, hangelte sich der Morgen am Horizont empor, hielt fest die Kugel
zwischen seinen Zähnen, bis dass die Himmel der Stadt Dublin ihr
die erste Ölung gaben. Und die Kugel sang die Litanei der Straßen
wie ein Lied, glasierte die Fassade des Hotels am Kai mit Honig und
tauchte das Gebäude ganz in safrangelben Glanz. Dann ließ
sie den Blick über die morgendlichen Leintücher schweifen,
die flatterten und wehten und verstohlen jedes geplatzte Wolkenäderchenverschluckten,
das sich hervor wagte. Über dem Clarence Hotel hing eine einzelne
schwarze Wolke; noch tat sie so, als sähe sie es gar nicht, aber
der Angriff konnte nur vorläufig ausgesetzt sein, und wenn nicht
bald die ersten Tropfen tröpfelten, musste sie fürchten, dass
die Wucht ihrer Entladung das Haus da unten einfach sprengte.
Neben ihrem Mann, der sich zusammenrollte wie ein Brückenbock lag
Minnie und frischte ihr vulvales Gedächtnis auf. Die hohe Zimmerdecke
mahnte sie von ihrer stuckverzierten Höhe aus zur Eile. Denn die
Erkenntnis, die ihr jungfräulicher Leib in dieser Nacht gewonnen
hatte, lautete nicht "Dein Wille geschehe", oh nein, was sie
in dieser Nacht erlebt hatte, war wunderbar und fürchterlich gewesen.
Draußen vorm Fenster dingdongte und hallihallote es, die Kais
erwachten; auf dem Fluss ließen die Schiffe ihre traurigen Sirenengesänge
ertönen, übers Kopfsteinpflaster klippkloppten die mächtigen
Clydesdales, während die eisenbeschlagenen Wagenräder ihre
Schatten auf den Steinen zermalmten. Pfeifende Männer blickten
auf den Fluss und rechneten sich ihre Chancen aus für einen Dockerjob.
Karren voll Obst und Grünzeug wurden zu den Marktständen geschoben,
die längs der Straße standen, derweil die Händler einander
mit rauhen Worten begrüßten. Das waren die Geräusche,
die Minnies Kopf verstopften, als sie sich nun auf ihrem Leidenslager
regte.
Jetzt drehte sie den Kopf herum zu dem, der eine ganze Nacht lang schon
ihr Mann war. "Peter, Liebster, bist du wach?", fragte sie
in gewundenen Worten. Doch sein Gesicht lag ausdruckslos und formverloren
neben ihr. Denn er schlief tief und träumte noch von seinem mannhart
absolvierten Liebeswerk. Sie lag derweil steif auf dem Rücken und
fasste ihren Mann ins Auge, bis ein stechender Schmerz, wie ein Knick
im Genick, sie zwang, den Kopf zu drehen und wieder geradeaus zu schauen.
Sie fand verschiedene Erklärungen dafür, warum sie sich irgendwie
betrogen fühlte, und dann, als hätte sie Gewissensbisse, weil
sie mit einem Mann im Bett war, schlug sie die Leintücher zurück
und stahl sich leise aus den warmen Laken fort. Sie blieb noch mal kurz
stehen und musterte mit wissendem Blick ihr Ehebett.
"Kinder, wie die Zeit vergeht, oweiowei", murmelte sie, als
sie ihr Mysterium ansah, rot wie Kapuzinerkresse.
Minnie O'Brien ging langsam zum Fenster hinüber, zog ein klein
wenig die Vorhänge auseinander, stellte sich in den Spalt und schaute
runter auf den grünen Narrenfluss. Stand da und schaute zu, wie
sich der alte Fluss behäbig nach dem Meer hin schleppte, der alte
Fluss, der schon so manche Schmähung, manchen Fluch einstecken
musste, der manche dicke grüne Aule ins Gesicht gekriegt und sogar
steife Leichen unter seinen Röcken geborgen hat. Hier strolchte
er dahin an diesem Morgen, mit hoch erhobenem Haupt, all den Schichten
von grauer Geschichte, die ihm die Lunge verklebten, zum Trotz. Strolchte
dahin und schaute nicht nach rechts und links, und um ein Haar wär
ihm sogar die Gulliverin da oben am Fenster des Hotels entgangen. Die
sah ja aus, als ob sie irgendwas im Schilde führte, aber den Fluss
schien sie zu dauern, sonst hätt der doch nicht eine Welle nach
der andern ausgesandt, um sie zu trösten. Freilich hatte auch er
keine Ahnung, wie das Problem zu lösen war, das die Kleine da oben
bedrückte, doch im Vorbeigeschlumpfe und -geschlurche raunte er
ihr zu, dass sie die Zeit auf ihrer Seite habe und in der alten Zunderbüchse
Zeit für alles eine Lösung stecke.
Die Fensterscheibe war beschlagen von ihrem Atem; sie wischte sich ein
Guckloch frei, damit sie den Fluss wieder sehen konnte. Und sie dachte
an die Bräute, die vor ihr hier gestanden hatten, und fragte sich,
wie's denen wohl da in dem Ehebett ergangen war. Und das war der Moment,
wo sie beschloss, ihre Gefühle zu befragen, denn als ihr Mann heut
Nacht so selbstzufrieden von ihr abgelassen hatte, war sie zu trotzig
und zu stolz gewesen, um zuzugeben, dass ihr Glückserleben nur
gespielt war. In ihrer Drangsal überlegte sie, wie ihre List noch
wirken sollte, wenn das Jungfernhäutchen ihrer Kränkung erst
mal vom Lärm der Kais durchsündigt würde. Sie drückte
sich die Nase an der Fensterscheibe platt und schaute zu, wie eingerahmtes
Volk die Straße rauf und runter wobbelte. Schon neun, und die
da oben steht am Fenster und sieht so aus, als ob sie grad ins Bett
gehn will, dachten die Leute auf der anderen Seite.
Minnie schloss die Vorhänge und trat zurück, stellte sich
vor das Bett und sah ihn an, ihren Mann. Sie bibberte vor Kälte
und hatte Gänsehaut. Da lag er nun und schlief, indessen seine
junge Frau nach Zunder suchte für die Glut in ihr, die langsam
zu erlöschen drohte. Er regte sich, öffnete halb die Augen
und hob den Kopf, um besser sehen zu können, und glotzte die Erscheinung
an: weißes Fleisch mit kleinen Kältenoppen, und die ausgewachsene
Clownskrause, in der sich ihr Häschen-in-der-Grube verbarg, blonde
Ringellocken, über die Schultern geworfen; ihre Wildfangbrüste
spielten tapfere Spiele und zeigten anklagend auf ihn da in dem gottverdammten
Bett, und ihre blaubeutelblauen Augen allmächtigten sein blödes,
trunkenes Glotzen. "Minnie, Liebchen, zum Teufel noch mal, was
stehst du denn da rum wie die Heilige Jungfrau?" sagte der Mann
erschrocken und schlug die Leintücher zurück, dass sie in
seine Arme schlüpfte.
Als Peter seine kühle Braut an seinen heißen Leib schloss,
da merkte er erst, wie sie fror. Die schwere Berührung seiner Hände,
mit denen er ihre Glieder massierte, ließ ihr das banges Herz
bald übergehen von heißem Blut. Zu Wachs in seinen Händen
wurde da das Mädchen an diesem betörenden Morgen, und obwohl
ihm sein Bemühen den köstlichsten Genuss bereitete, ging sein
wildes Weib kein einziges Mal dazwischen. Im Tyburn-Takt befünffingerte
er ihr Fleisch, bis ihr rosiger Seiger bebte, und jetzt, am Morgen des
18. Mai 1922, als die Zifferblätter der Stadt zwanzig Minuten nach
neun zeigten, wälzten sich Peter O'Brien und Minnie, sein Weib,
da unten am Kai im Clarence Hotel in lynchender Liebe, ja, in seufzender,
lynchender Liebe, und unter ihnen waberte der Bauch aus Steinen.
Christopher Nolan, geb. 1965
© 2006 Pforte Verlag, Dornach
Aus: Fünf Felder Grün (engl.: The Banyan Tree, Pforte Verlag
2006; 438 S. 24,00 €;
ISBN 3-85636-171-5; ISBN 13-978-3-85636-171-6)