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Leseprobe aus
John Banville, Der Unberührbare.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997.
Taschenbuchausgabe S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2000

 


"'Erzählen Sie mir doch mal, an was Sie gerade denken, Sir – außer daß Sie Angst haben, uns könnte eine Bombe auf den Kopf fallen.'
Da hatte ich auf einmal so ein Gefühl, als ob ich eine Murmel in der Kehle hätte; ich hörte mich schlucken.
'Ich denke daran’, sagte ich, ‘daß ich nich gern sterben möchte, bevor ich gelebt habe.'
Er schüttelte den Kopf und stieß einen leisen, erstaunten Pfiff aus.
'Oje, das ist ja schrecklich. Haben Sie denn noch nich gelebt, Sir?'
'Es gibt Dinge, die ich noch nich getan habe.'
'Na, das trifft ja wohl auf jeden zu, nich wahr, Sir? Wollen Sie nich herkommen und sich neben mich setzen?'
'Nein', sagte ich, 'das trifft nich auf jeden zu. Auf Boy nich, und auf Sie auch nich, nehme ich an. Ist denn da genug Platz für mich?'
'Also es gibt 'ne Menge Dinge, die ich noch nich getan hab', sagte er. Er hob die Hand und klopfte auf den Platz neben sich. Ich stand auf, und dabei kam ich mir lächerlich groß und wacklig vor, als ob ich auf Stelzen liefe. Im Grunde setzte ich mich gar nich neben ihn, sondern sackte an seiner Seite in die Polster. Er roch ein wenig fleischig und ein wenig ranzig; plötzlich fiel mir der Geruch wieder ein, den die wildernden Füchse frühmorgens immer im Garten zurückgelassen hatten, als ich klein war. Ich küßte ihn ungeschickt auf den Mund (Bartstoppeln!), und er lachte und legte den Kopf in den Nacken und sah mich an, neugierig und amüsiert, und schüttelte abermals den Kopf. 'Ach, Captain', sagte er gutmütig.
Ich wollte nach seiner Hand greifen, doch das ging nich. Da faßte ich ihn an der Schulter an und war verblüfft über die Härte, die Härte und das ungewohnte Muskelspiel; als wenn man einem Pferd über die Flanken strich. Er wartete geduldig, spöttisch, freundlich.
'Ich weiß nich ... wie ihr es macht', sagte ich.
Er lachte wieder und packte mich am Handgelenk und zog mich mit einem Ruck zu sich heran.
'Na komm schon her', sagte er, 'ich zeig's dir.'
Und das tat er.
Keine Sorge, Miss V., an dieser Stelle folgt keine detailgetreue Schilderung des Akts, von Körpern, die sich rhythmisch wälzen, von Schreien und Kratzen, von verzückter Ermattung, von vertrauter Ekstase in fremder Umgebung und der süßen Ruhe, die einen am Ende überkommt – nein, nein, nix dergleichen. Ich bin ein Kavalier alter Schule, mit solchen Dingen tue ich mich schwer, da bin ich sogar ein bißchen prüde. Natürlich verliehen die Bomben dem Ganzen eine gewisse Dramatik, aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, diese Theatereffekte waren eher etwas übertrieben, etwas vulgärwagnerianisch, wie der komische Polizist vorhin in Hampstead mit seiner Götterdämmerung. Die Stadt bebte, und ich bebte auch, und beide waren wir überfallen worden, wenn auch auf sehr verschiedene Weise., und hatten nich die Kraft gehabt, uns dagegen zu wehren. Ich hatte durchaus nich das Gefühl, neue, unbekannte Ufer zu betreten. Sicher, der Liebesakt mit Danny Perkins war eine Erfahrung, die nich die geringste Ähnlichkeit hatte mit den kühlen und immer etwas zerstreuten Pflichtübungen meiner Frau, aber dennoch wußte ich, wo ich war; o ja, ich wußte, wo ich war. Eigentlich rechnete ich fest damit, daß ich diese Nacht nich überleben würde, in der die Heftigkeit der Leidenschaft, die ich empfand, mich genauso umbringen konnte wie die Bomben die Stadt, auf die sie herniederregneten, und doch blieb ich angesichts dieser Aussicht vollkommen gelassen; der Tod war ein gelangweilter, leicht angewiderter Gast, der ungeduldig in einer Zimmerecke saß und wartet, daß Danny und ich fertig wurden, damit er mich holen konnte und mich mitnehmen auf den letzten Gang. Ich schämte mich nich für das, was ich machte und mit mir machen ließ, das entsetzliche Gefühl von Grenzüberschreitung, das ich mir vorgestellt hatte, blieb aus. Im Grunde hat es mir beim erste Mal, glaube ich, auch gar kein wirkliches Vergnügen bereitet. Ich kam mir, offen gesagt, eher wie jemand vor, der sich freiwillig für ein abstruses und bemerkenswert brutales medizinisches Experiment zur Verfügung gestellt hat. Ich hoffe, Danny würde mir diesen Vergleich verzeihen, aber ich finde ihn einfach treffend. Bei den folgenden Begegnungen folterte er mich auf eine so herrliche, so zärtliche Weise, daß ich mich ihm am liebsten zu Füßen geworfen und ihn angefleht hätte, ja nich aufzuhören - zum Beispiel diese Anschwellen der Zungenwurzel, diese ekstatische, panische Gefühl, zu ersticken, zu dem nur Danny mir verhelfen konnte –, doch damals, beim ersten Mal, als die Bomben fielen und Tausende um uns herum starben, da war ich das reglos daliegende Versuchsobjekt, das von Danny bei lebendigem Leibe seziert wurde."

John Banville, geb. 1945

© 2000 Kiepenheuer & Witsch

Aus: Der Unberührbare (engl.: The Untouchable), Kiepenheuer & Witsch 1997; ISBN 3462026380; 544 S.; 49,80 DM; auch als Taschenbuch bei S. Fischer 2000, ISBN 3596141842; 544 S.; 19,90 DM 

John Banville stammt aus Wexford, Irland, und lebt in Dublin. Er gehört nicht nur zu den bedeutendsten europäischen Erzählern unserer Zeit, sondern ist außerdem Literaturredakteur bei der Irish Times. Seine historischen Romane Kepler und Doktor Kopernikus sind im S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, als Taschenbuchausgaben erschienen (Übersetzung: Bernhard Robben). Das Buch der Beweise (engl: The Book of Evidence; übersetzt von Dorle Merkel) und Athena (übersetzt von Lilian Faschinger), beide Kiepenheuer & Wisch, Köln, bilden den ersten und letzten Teil von Banvilles sogenannter MÖRDERTRILOGIE, deren Mittelstück der von mir übersetzte Roman Geister ist.

Weitere Leseproben aus Banville:
Caliban

Geister
Sonnenfinsternis
Die See
Nicht frei von Sünde

 


 

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